Bildquelle: 360 Grad Verlag
Die Wolke unterm Dach
von Chris Silber
mit Bildern von Annabelle von Sperber
32 Seiten
1. Aufl. 19. Oktober 2022
ISBN: 978-3-96185-561-2
360 Grad Verlag
16,00€
Eine wahre Geschichte über den Tod und die Zeit des Trauerns
einfühlsam, feinfühlig und Mut machend
für Kinder ab 5 Jahren
"Trauern ist, wenn man jemanden loslässt, damit er für immer da sein kann"(Zitat)
Das ist die Botschaft dieser Geschichte, die man erst begreifen lernen muss. Es ist ein langer Weg der Trauer zu verarbeiten und damit zu leben, dass ein geliebter Mensch physisch nicht mehr bei einem ist, und genau von so einem Weg erzählt Chris Silber in seiner wahren, selbst erlebten Geschichte.
Auch wenn es eine mutmachende Geschichte ist, ist sie im Gegensatz zu vielen anderen Bilderbuchgeschichten über den Tod wirklich extrem emotional, was vor allem daran liegt, dass hier die Mutter eines Kindes stirbt. Wir kennen viele Geschichten zum Thema Tod, die im Tierreich spielen, oder wo ein alter Mensch nach einem erfüllten langen Leben von uns geht, aber die Mutter eines kleinen Kindes, das ist, so seltsam es vielleicht klingt, doch noch einmal wesentlich emotionaler und kann kleinen Kindern auch Angst machen. Es ist etwas anderes, wenn Eltern sterben.
Gerade deshalb ist es sehr wichtig das Vorlesen genau vorzubereiten.
Es gibt Kinder, die in ähnlicher Situation wie Lilly sind. Ihnen kann das Buch helfen, es kann sie aber auch zusätzlich ängstigen.
Chris Silber hat diese Geschichte für uns festgehalten, um Mut zu machen, um Kindern aber auch Erwachsenen zu zeigen, dass es gut ist loszulassen damit der, den wir loslassen für immer bei uns sein kann. Und so seltsam es klingen mag, genauso ist es. Erst wenn wir loslassen können, ist Raum da für Erinnerungen, für ein Miteinander das nicht mehr schmerzt, sondern erfüllt. Ja, in vielen Fällen sogar den Raum gibt zu spüren, dass da jemand ist, der immer da ist auch wenn ich ihn nicht sehen kann.
Chris Silbers Geschichte ist aber auch deshalb so nahbar und emotional, weil es seine Geschichte bzw. die seiner kleinen Tochter ist.
"Lillys liebt das Leben. Besonders liebt sie Pizza und bunte Luftballons. Und am allermeisten liebt sie das Lachen ihrer Mama." (Zitat)
So beginnt diese Geschichte, die eine Art Wegbegleitung ist.
Chris Silber nimmt uns mit auf Lillys Weg der Trauer. Die Geschichte beginnt allerdings erst einmal mit ihrem "normalen" Leben. Ein Leben, wie es Kinder in ihrem Alter leben. Doch als ihre Mutter krank wird, viel zuhause liegen muss und kaum Kraft hat aufzustehen, da erleben wir ein Kind im Ausnahmezustand. Lillys Mama hat Krebs.
"Jeden Morgen vor dem Kindergarten malt Lilly ihrer Mutter ein Bild"(Zitat) Die Mutter freut sich sehr über die Bilder, doch Lilly bemerkt das die Augen ihrer Mutter müde sind. In der Geschichte heißt es "....aber in ihren Augen war es wolkig" (Zitat). Eine schöne Formulierung, die später noch von Bedeutung sein wird, da Wolken in unterschiedlichen Situationen eine Rolle spielen werden. Natürlich möchte Lilly, dass es ihrer Mama gut geht. Sie möchte ihr helfen. Besonders gern hat die Mutter eine Umarmung von ihrer Kleinen. Es sind Momente der innigen Verbindung, die wir auch durch ein wundervolles, sehr intensives Bild einer solchen Umarmung, spüren dürfen.
Doch dann, eines Tages kommt Lilly vom Kindergarten zurück. Weder ihre Mutter noch ihr Vater sind da, dafür ihre Oma. Lilly erfährt, dass ihre Mutter im Krankenhaus ist. Als ihr Vater später nachhause kommt geht er mit ihr in den Garten und erklärt er Kleinen, das die Mutter gestorben ist und jetzt im Himmel ist. Lilly guckt in den Himmel zu einer großen Wolke. Sie möchte wissen, ob die geliebte Mama nun auf der Wolke sitzt und ihr Papa nickt.
Das Bild, das diese extreme Situation einfängt,
stimmt sehr hoffnungsvoll. Die Gesichtsausdrücke der beiden mit Blick zur Wolke ist traurig und hoffnungsvoll zu gleich. Irgendwie geht von den Blicken eine Art Erwartungshaltung aus. Fast so als würden beide der Wolke nachsehen und hoffen die Mutter dort winken zu sehen. Es ist ein Moment des Abschiedes der deutlich spüren lässt, dass alles noch unwirklich ist.
Der Tag der Beerdigung zeigt dann aber zwei Gesichter, die ziemlich verloren wirken. Lilly schaut ihren Vater an, der sie umarmt. Sein Blick ist leer. Recht weit oben in der Kirche ist ein Bild der Mutter. Für Lilly hängt das Bild so hoch, weil die Mama ja jetzt auf den Wolken wohnt. Das Bilder der Mama kommt später auf Lillys Nachttisch, so kann sie ihr Lächeln immer sehen. Die Mama zu sehen ist schön doch viel lieber würde Lilly sie auch hören und umarmen können.
Wieder greift Lilly zu Papier und Stiften und malt Bilder. Dieses Mal sind es Bilder, auf denen sie Ideen visualisiert, wie es möglich ist die Mutter auf den Wolken zu besuchen. Für uns Leser folgen wundervolle Zeichnungen die Lillys Bilderwelten einfangen und ihre Fantasien verbildlichen. Farbenfroh und kreativ sind die Illustrationen, auf denen wir Lilly auf Wolken hüpfen sehen, wie sie einem Wolkenriesen begegnet, in eine Rakete klettert oder auch bunte Luftballons, an die sie sich hängen könnten, um mit ihnen zu den Wolken zu schweben.
Lillys Papa guckt sich die Bilder an, doch Lilly spürt, dass er sie nicht richtig beachtet. Ihre Oma erklärt ihr, dass er trauert und es noch eine Weile dauern kann, bis er wieder ein fröhlicheres Gesicht macht. Lilly versteht nicht so recht, was Trauern ist, doch als sie am nächsten Tag wieder eine Idee für ein Bild hat wird ihr plötzlich bewusst, dass sie ihre Mutter nie wieder sehen wird. Das sie sie nicht besuchen können und sie nicht mehr zurückkommt. Und dann kommt auch bei ihr ein Tränenmeer, das sie nicht allein durchlebt muss, sondern in den Armen ihres Papas.
Das, was Lilly durchlebt, ist ein typischer Trauerprozess. Es dauert eine Weile, bis man realisiert das der Tod etwas Endgültiges ist. Dann kommt das Tränenmeer, das mehr ist als ein paar Trauertränen. Darauf folgt in der Regel der eigentliche Prozess des Loslassens und den erlebt Lilly auf eine ganz besondere Weise. Sie sieht auf dem Dachboden erst eine Wolke und dann ihre Mutter, die ihr sagt, dass sie jetzt loslassen kann und dass Lilly loslassen muss, damit sie für immer bei ihr sein kann. Lilly mag die Mama nicht loslassen, doch muss sie den Dachboden, zu dem sie eigentlich gar nicht hätte hochklettern dürfen, verlassen, weil ihr Papa sie ruft. Es passiert noch so einiges, doch so viel sei verraten am Ende können sowohl Lilly als auch ihr Papa loslassen und die Bilder die Lilly malt, die fliegen via Luftballonpost hinauf in die Wolkenwelt.
Das Buch lebt von den Bildern, die ganz wundervoll die von Chris Silber erzählte, Geschichte aufnimmt und visualisiert. Durch die Visualisierung ist die Geschichte wunderbar nahbar und nachempfindbar nimmt aber auch gleichzeitig die Schwere. Tod ist ein trauriges, schwieriges Thema für ein Bilderbuch, aber wir brauchen diese Geschichten, um Kindern das Thema näher zu bringen. Eine Bilderbuchgeschichte zu erzählen ist meist wesentlich schwerer als eine Vorlesegeschichte zu schreiben, denn im Bilderbuchbereich muss mit viel weniger Wörtern erzählt werden als in anderen Bereichen. Mit wenigen Wörtern viel erzählen und intensiv zu transportieren ist hohe Kunst und gelingt vor allem auch durch das Zusammenspiel von Bild und Text. Die Bildsprache ist gerade bei Themen wie dem Tod ein enorm wichtiger Transporteur. Anna von Sperber hat es geschafft eine Bilderwelt zu erschaffen, die Realität und Fantasie wundervoll verknüpft und gleichzeitig eine Symbiose mit der erzählenden Geschichte eingeht.
Ihre Zeichnungen sind lebendig, emotional und von einer besonderen
Farbigkeit, die der Geschichte unglaublich guttut. Die Wolke spielt in der Geschichte eine große Rolle und begleitet gerade auch in den Bildern den Handlungsverlauf. Wolken haben etwas Faszinierendes und Leichtes. Die Wolken gehen auf Reisen und sind doch immer irgendwie da. Genau dieses Gefühl transportiert Anna von Sperber über ihre Zeichnungen. Gleichzeitig hat sie mit sehr viel Feingefühl und Liebe zum Detail die Realität zu Papier gebracht. Die Gesichter spiegeln die Gefühlswelten fantastisch wider. Man erlebt deutlich die Traurigkeit, die Müdigkeit des Vaters, der zuweilen auch etwas überfordert ist mit Lillys Temperament und ihren Ideen, von denen er weiß, dass es Luftschlösser sind. Wir erleben Lilly, die mit so viel Liebe und Wärme ihre Mutter umarmt, die vollen Ideenreichtum, fast schon freudig erwartungsvoll ihre Ideen zu Papier bringt. Sie ist traurig, sie vermisst ihre Mutter, aber da ist auch noch der Funken Hoffnung ihre Mutter besuchen zu können und wir erleben Lillys Traurigkeit als sie realisiert, dass sie ihre Mutter nie wieder in den Arm nehmen kann.
Die Bilder sind zu keinem Zeitpunkt erdrückend. Auch in der tiefen Traurigkeit ist etwas zu spüren, zu sehen, dass entweder Normalität oder Hoffnung spüren lässt und genau das ist wichtig um Kinder, die in diese Bilderwelt eintauchen aufzufangen und nicht zu ängstigen.
Der Zusammenhalt, die tiefe Verbindung von Lilly und ihrem Vater ist das, was wir durch die Bilder wirklich spüren können. Die Kraft, die von diesem Zusammenhalt ausgeht, trägt auch die Leser/Betrachter.
Und so haben wir hier Bilderbuch, nach einer wahren Geschichte, das vom Tod und der Trauerarbeit erzählt, dass Kindern, die in einer ähnlichen Situation sind wie Lilly Mut machen und Kraft schenken kann, aber auch Erwachsenen noch helfen kann.
Bilderbücher wie dieses sind für betroffene Kinder unglaublich wichtig, weil sie von etwas erzählen, was sie auch erleben. Mit dem Buch bekommen sie das Gefühl ich bin nicht allein, es gibt auch andere die so etwas erleben. Und genau das ist wirklich wichtig, genauso wichtig wie der Kontakt zu anderen, die ähnliches erlebt haben.
Wenn ihr mehr über dieses beeindruckende Bilderbuch erfahren, möchtet schaut doch auch mal auf der Seite des Verlags vorbei.
Der Link führt euch hin.
Übrigens:
Basierend auf der wahren Geschichte von Chris Silber ist nicht nur dieses wunderbare Bilderbuch entstanden, sondern auch ein Kinofilm nimmt sich dieser Grundgeschichte an.
Hier findet ihr einen Link zur Kinobesprechung